Was für eine wundervolle Einführung! Es ist erstaunlich, was Menschen alles sagen, wenn sie nicht unter Eid stehen.

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Juliane Moser,

"Kultur ist schön, aber macht viel Arbeit".

 

Ob sich die Gründungsmütter und -väter der Bürgergemeinschaft Eutin e.V. im Sommer 1978 wirklich mit dem Bonmot Karl Valentins auseinandergesetzt haben – ich glaube eher Nein. Denn sonst hätten Dr. Horst-Gotthard Ost, Joachim Neumeister, Margret Dreesen, Hans-Joachim Jaetzel, Agnete Riedel-Hollmichel, Gisela Tönnies und Anne-Liese Martens und um nur einige von ihnen zu nennen, nie den mutigen Entschluss gefasst, diesen Verein zu gründen. Kurz nach dem ersten Treffen stieß auch der Eutiner Ehrenbürger Ernst-Günther Prühs zu dem Verein.

Die heutige Preisverleihung ist der Beweis dafür, dass nicht alles umsonst war, woran sie geglaubt haben. Sicherlich, die meisten von Ihnen waren sture Typen, aber die Geschichte wimmelt von solch´ kantigen Gestalten -  es sind nicht die Schlechtesten.

Bis heute sind Charakter und Persönlichkeit ja bekanntlich injustiziable Phänomene.


Erlauben Sie mir einen kurzen Rückblick

In den späten 1970er Jahren erlitt Eutin – vom Krieg verschont - ein unverdientes Schicksal, die Abrissbirnen dröhnten durch die Stadt.

Das Ihlpool-Quartier, ein kleines Wohnviertel in der nördlichen Vorstadt, wurde zu einem Parkplatz, die Häuser Lübecker Straße 7 und 9 wurden abgerissen und mit erschreckend pseudohistorisierenden Fassaden als Kulissenkosmetik neu aufgebaut, die Weberstraße und der Beginn der Weidestraße verloren ihren altstädtischen Charakter durch den Abbruch vertrauter Bausubstanz zugunsten des Neubaus der Kreisverwaltung und eines Parkhauses.

Auch wenn heute wohl die meisten der Anwesenden ebenso wie die Bürgergemeinschaft diese Verluste bedauern, so möchte ich an dieser Stelle eindeutig bezweifeln, dass heute ein solcher Raubbau hier in Eutin unmöglich wäre, wenn Renditen, Investoren, Arbeitsplätze oder auch sonstiger politischer Druck winkt. Dabei hatten unsere Vorväter schon damals erkannt:

"Haus für Haus fällt Dein Zu Haus"

(Motto des  Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz in den 1980er Jahren).

Dies war auch der Grund, weshalb der Verein, der als Bürgerbewegung begann, schnell großen Zulauf in Eutin bekam. Doch von den Medien geschnitten, bei den politisch Verantwortlichen äußerst unbeliebt und von der Verwaltung wissentlich unwissend gehalten, so hatten die damals Handelnden schwere Startbedingungen.  

Doch sie blieben am Ball, frei nach dem 11. Gebot: Du sollst nicht aufgeben!

Wenn auch die Bürgergemeinschaft Eutin "erhalten und gestalten", so ja ihr alter kompletter Name, als eine Art "Eutiner APO" (für die Jüngeren: außerparlamentarische Opposition) auftrat, so war die Bewegung, als  vier Jahre nach der Vereinsgründung auch quasi "sinn fain", die Bürgerliste, als politischer Arm ins Leben gerufen wurde, nicht mehr zu ignorieren. Mit 17 % zog sie in die Stadtvertretung ein und ärgerte von nun an kräftig die Etablierten.

Im Frühjahr 1981 schafften es die Eutiner Probleme immerhin trotz des Attentats auf den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan zu einem dreiseitigen Artikel im "Stern" mit dem Titel "Ein Geldsack deckt den anderen".  In dem bis heute äußerst lesenswerten Beitrag ist die Rede von "Parteienfilz", "Kaputtsanierung" und "provinzpolitischem Größenwahn". Ein noch heute real existierendes Kaufhaus wird als "schlicht, aber geschmacklos" bezeichnet. 

Die "klobigen, modernistischen Röhrenlampen auf dem Markt rücken" laut Stern, "die architektonischen Sünden in grelles Licht". 

All das ist fast 18 Jahre her und die klobigen, modernistischen Röhrenlampen befinden sich noch immer auf dem Markt, allerdings tauchen sie keine architektonischen Sünden mehr in grelles Licht, das liegt jedoch keineswegs an fehlenden Bausünden, sondern an mangelndem grellen Licht – ansonsten ist der Artikel immer noch topaktuell und - wie ich schon sagte - in höchstem Maße lesenswert. 

Mit den regelmäßig seit der Gründung erscheinenden Mitgliederrundbriefen, eine "Erfindung" von Joachim Neumeister, hatte der Verein schnell ein Instrument gefunden, das bis heute zu einer sehr hohen Bindung der Mitglieder führt. Anständigerweise tritt man aus der Bürgergemeinschaft nicht aus, wenn man sie unbedingt verlassen will, stirbt man, auch wenn die Satzung eigentlich etwas anderes sagt.

Seit 1981 gibt es den Kalender der Bürgergemeinschaft, gemeinsam entwickelt von dem Trio Neumeister, Prühs, Fleischer - unser Sympathieträger, der nicht nur Geld in die Vereinskasse spült, sondern sich in unserer Stadt auch gleichbleibender Beliebtheit erfreut. Wissen Sie eigentlich, warum der Kalender seit 15 Jahren das gleiche Format hat? Damit nicht halb Eutin die Wohnzimmer streichen lassen muss!  

Einblick in die Vereinsinterna:

Die Aktivitäten des ersten Vereinsjahrzehnts bestanden im Wesentlichen aus Kämpfen um das Kutscherhaus, um das Haus des Gartenknechts - heute vorbildlich saniert und besser bekannt unter dem Namen Riemannhaus -, Stellungnahmen zur denkmalpflegerischen Zielplanung oder aus dem hier schon zitierten, den älteren Eutinern noch bekannten, Lampenstreit.

Bis heute aktuell und in seiner kompakten Art auch unerreicht ist der in einer bemerkenswerten Zusammenarbeit entstandene "Kulturhistorische Stadtführer" von Ernst-Günther Prühs und Joachim Neumeister, der eigentlich in jeden Eutiner Bücherschrank gehört.

Heute beschäftigt sich der Vereinsvorstand mit der Teilnahme an städtischen Gremiensitzungen und den daraus resultierenden kritischen Standpunkten, der Äußerung unserer Ansichten zu innenstadtrelevanten Bebauungsplänen, der umfangreichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, dem immensen Fotoarchiv, Vorträgen über Eutin, dem Kalender, der Erstellung von Infoblättern, der Zuarbeit bei Satzungsrecht und, und, und…..

Die Forderung an die Stiftung "Schloss Eutin", nun endlich eine Besuchsordnung für den Schlossgarten zu erlassen, begleitet uns nun schon seit mehr als 10 Jahren; aber wir werden nicht aufgeben, getreu dem 11.  Gebot.

Leider ungehört verhallte unser Ruf nach einem städtischen Gestaltungsbeirat, aber auch diese Idee ist bei uns nur in der Wiedervorlage verschwunden.

Da eine Tante, die etwas mitbringt, bekanntlich beliebter ist, als der Onkel, der nur Klavier spielt, ziehen wir einen Teil unserer Bedeutung natürlich auch aus der Tatsache, dass es uns in den letzten 16 Jahren gelungen ist, in Eutin immerhin nahezu 70.000 Euro an Spenden zu vergeben. Dazu müssten noch einmal die Gelder gerechnet werden, die zwar nicht als Vereinsmittel vergeben wurden, aber auch durch die Bürgergemeinschaft Eutin akquiriert werden konnten. Zu den Spendenzielen haben in der Vergangenheit die Eutiner Stadtmühle (7.000 €), der Schlossgarten (20.000 €), das Schloss (7.000 €), die St.-Michaelis-Kirche (6.500 €) und unzählige kleine Zuwendungen für Sanierung von Fassaden, Türen, Fenstern und Gesimsen gehört.

Aber auch Geschenke an Kindergärten wurden schon mit unseren Geldern finanziert.

Sicherlich haben wir im Sommer mit der Ausstellung "Eutin  - Erster Weltkrieg - Ehrenmal" unser Meisterstück abgeliefert. Mehr als 1.000 Personen haben sich mit dem Schicksal der Eutiner Krieger beschäftigt. Fast schon "nebenbei" wurde das Geld eingewoben, um die Tafeln des Ehrenmales neu gießen zu lassen.

 An dieser Stelle nochmals herzlicher Dank an die Vereinskollegen, die gemeinsam mit dem Vorstand die Sammlung betreut haben.

In diesem Zusammenhang wird die Gedenksäule am Markt gleich noch mit "beglückt" werden, auch wenn dort noch etwas "Abstimmungsbedarf" besteht.

Nun juckt es uns schon wieder - die Stadt braucht ein Fördertöpfchen. Eine Kommune, die so offensiv mit ihrer historischen Altstadt wirbt, auch die Kaufmannschaft hat ja deren Zugkraft längst erkannt, muss auch ein wenig dafür tun. Wer sollte dies fordern, wenn nicht wir, wo, wenn nicht hier, wann, wenn nicht heute .....

Mittlerweile ist die Bürgergemeinschaft Eutin auch aus der Presselandschaft nicht mehr wegzudenken. Etwa zweimal monatlich erhalten die Zeitungen aus erster Hand die Ansicht der Stadtschützer zu den lokalen Problemen. Dabei ist der Status eines unabhängigen Vereins meist förderlich, denn so können Tatsachen ausgesprochen werden, die beim Namen zu nennen, sich nicht jeder leisten mag, ich denke nur an die jüngsten Probleme mit einem Anlieger am Marktplatz. 

In den 30 Jahren des Vereinsbestehens hat sich der Stil des Vorgehens den äußeren Rahmenbedingungen angepasst. Während der Verein in den ersten Jahren - politisch nicht anerkannt und mit wenig Rückhalt in der Presse - mit harten Worten kämpfen musste, so reicht heute, da die Gruppierung gesellschaftlich angenommen und auch von den Medien akzeptiert ist, meist das Florett.

 

Meine Damen und Herren, ich habe einen kurzen Rückblick gehalten, ich habe einen Einblick gegeben, ich möchte jetzt einen Ausblick in die Zukunft machen!

Auf unserer Homepage heißt es "Wir halten unsere Stadt in Form!" Nun ist das, was eine ansprechende Form wirklich ist, leider nicht immer für alle erkennbar. Seit 30 Jahre geben wir dazu Hilfestellung.

Als ein Teil der Stadtvertretung beschloss, die Gestaltungssatzung aufzuheben, wurde durch erheblichen Druck unseres Vereins diese Entscheidung zugunsten einer Überarbeitung revidiert. Nun aber wartet seit geraumer Zeit auch die öffentliche Möblierung auf eine ordnende Hand. Doch auch hier werden die Interessens- und Nutzungskonflikte schnell zutage treten, ein buntes Sammelsurium auf dem Markt: Tische, Stühle, Schirme, Fahrradständer, Papierkörbe und Wackeltiere, für die Einen Ausdruck des freien Unternehmertums, für die anderen optische Umweltverschmutzung. Wir sollten unsere gute Stube nicht mit Gegenständen von minderem geschmacklichem Anspruch verunzieren. Manch noch so gut gemeintes und auch durchaus funktionales Möbel ist gestalterisch verwegen.

Ästhetische Kollateralschäden sind vorprogrammiert.

Weitere Baugebiete an der Peripherie sind geplant, welche Auswirkungen werden sie auf den gewachsenen Gebäudebestand im Altstadtbereich haben?

Mit welchen Folgen müssen wir rechnen, wenn sich noch weitere Einzelhandelsmärkte am Stadtrand ansiedeln? Hier in Eutin wurde lange neidisch auf die Sophienhofpassage in Kiel geblickt, dort verslumt seit einigen Jahren der Marktplatz – werden die Eutiner lernfähig sein, oder wollen sie unbedingt die gleichen Fehler wiederholen?

Wie gehen wir mit unseren bedeutenden Pfunden, den Seeufern, um? Werden wir sie mit Großbauten zupflastern lassen? Ein Riesenhotel an der Stadtbucht, ein Seniorenklotz am Kleinen See?

Zurzeit sorgen sich zahlreiche Eutiner um den Fortbestand der Festspiele, aber wer erwähnt das Schicksal der "ländlichen Gegend des Schlossgartens", das in dieser Diskussion eine wichtige Rolle spielen sollte?  Die "Zeit" titelte bereits 1995 "Carmen macht sich breit!".

Damit ich an dieser Stelle nicht falsch verstanden werde:

Die Bürgergemeinschaft Eutin will keine Käseglocke über die Stadt stülpen.

Auch aus diesem Grund haben wir uns gegen eine pseudohistorische Fassade des Voss-Haus-Neubaus gewandt. Aber wir sehen sie Gefahr, dass unser authentisches Stadtbild zum banalen Abbild verkommt, wenn - bei einer durchaus beklagenswerten Unwirtlichkeit - die verordnete Gemütlichkeit folgen sollte. Eine Puppenstubenarchitektur: geprägt durch das Motto: innen echt neu, außen falsch alt!!!

Wir werden abwarten müssen, ob es unter der Rubrik "Aber Frau Jepp, es hätte doch schlimmer kommen können" weiteres zu subsumieren gibt. Dieser Satz, übrigens meist ausgesprochen von Damen und Herren, die für die Baukultur der Stadt Verantwortung tragen, dokumentiert auf eine seltsam beliebige Art Zufriedenheit.

Denn, wenn wir uns immer nach dem unteren Level richten, wo werden wir dann eines Tages landen? Aber viel schimmer noch: wer soll sich hierwohlfühlen, ob als Einheimischer oder Gast?

Eine solche Aussage ist eine stadtgestalterische Bankrotterklärung!

Damit wird aber auch das Motto des Eutiner Jubiläumsjahres 2007 ad absurdum geführt. "Mit Tradition in die Zukunft“" kann doch nur bedeuten, dass wir uns alle der Qualität unserer gebauten Umwelt bewusst sind und diese auch als Verpflichtung für die Zukunft empfinden.

An dieser Stelle muss auch an die alte Forderung der Bürgergemeinschaft, nämlich einen fachlich hochqualifizierten Stadtbaumeister einzustellen, erinnert werden. Das historische Erbe unserer Stadt verlangt einen Stadtgestalter mit planerischer Weitsicht. Dies sind wir den früheren Baumeistern wie Georg Greggenhofer, Peter Richter und Otto Haesler, um nur einige zu nennen, schuldig.

Stadtbildpflege im Kontext zu dem historischen Erbe ist originär städtische Aufgabe und darf nicht ausschließlich auf ehrenamtliche Schultern verlagert werden.

Die historische Altstadt, die gern werbewirksam zur "Einkaufsstadt Eutin" herangezogen wird, braucht eine gefühlvolle Entwicklung. Unsere Denkmale sind als Sympathieträger erkannt, wir gehen nur nicht richtig damit um. Sonst ist die Zeit, in der die Stadt ihr Renommee aus der Tradition der "vornehmen kleinen Residenzstadt" ziehen konnte, schnell vorbei.

Gesichts- und geschichtslose Neubauten mit vorgehängter Lebkuchenfassade sind hilflose Abwehrreaktionen auf den drohenden Verlust der Identität, getragen vom Heimweh nach der intakten Stadt. Ideen, die uns ein gnädiges Schicksal ersparen möge.

 

Apell:

Eutin ist – gemeinsam mit Lübeck und Friedrichstadt – eine der Städte mit der höchsten Denkmaldichte in Schleswig-Holstein. Dieser Wert sollte für die Stadtmütter und -väter Grund für Stolz, aber auch eine Verpflichtung sein.

Baumeister Schinkel sagte vor mehr als hundert Jahren: Historisch ist nicht das Alte allein festzuhalten oder zu wiederholen, historisch ist das, was durch Handeln Neues herbeiführt und wodurch die Geschichte fortgesetzt wird.

Rolf Hochhut sagt: Deutschland ist der einzige Staat, der in seiner Tagesschau die Kultur nur selten erwähnt. Kultur kommt erst dann, wenn Hühner und Berufstätige schlafen.  Um nun das Zeitkontingent nicht unnötig überzustrapazieren, möchte ich nur noch ein paar Worte über die den Verein führenden Personen hervorheben:

Heute sind sie professionell ambitioniert, vielleicht ohne den missionarischen gühenden Eifer der ersten Jahre, aber ausgerüstet mit Ausdauer, Beharrlichkeit, Entschlossenheit, Selbstdisziplin, Findigkeit, gepaart mit einer gewissen Neigung, Regeln manchmal zu übertreten. Sie machen ihre Arbeit mit einer gehörigen Portion Achtung vor dem Mandat, das sie von der Mitgliederschaft bekommen haben. Aber auch beseelt von dem festen Glauben, dass der sanften Gewalt der Vernunft auf Dauer niemand widerstehen kann.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir am Schluss noch ein ganz persönliches Wort:

Viele von Ihnen wissen, dass ich vor ziemlich genau zwei Jahren hier als Laudatorin für Frau Gisela Thietje stand, die neben Frau Prof. Auerswald den ersten Eutiner Kulturpreis erhielt. Nun hier heute selbst als Preisträgerin zu stehen und die Dankesrede zu halten, das ist schon eine tolle Sache.


Kultur ist schön, aber macht viel Arbeit!

Wir haben uns hier heute zur Verleihung dieses Preises getroffen; wenn einige von Ihnen nun die Befürchtung oder vielleicht auch die leise Hoffnung haben, dass ich mich nun auf der Ehre ein wenig niederlegen werde, dann möchte ich Ihnen mit Johannes Rau antworten:

Wer sich auf seinen Lorbeeren ausruht, der trägt sie an der falschen Stelle.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!